HU Berlin - Institut für Sozialwissenschaften
PJS: 53104 Politische Rationalitätsprobleme und Bedingungen der Möglichkeiten anspruchsvoller  Reformen
SS 2002
Protokollantin: Silvia Hartmann

Sitzungsprotokoll vom 24.06.2002
Gesprächsleitung: Felix Wassermann

Tagesordnung:
I: Vorstellen der Tagesordnung
II: Protokoll vom 17.06.2002
III: Untersuchungsfälle
1. Mali (Mathias)
2. Euro (Thomas)
3. Ökologisierung (Sebastian)
IV: Methodik der Forschung (Pragmatik)
V: Arbeitsplan/ Verschiedenes

zu I)
Die Tagesordnung wird vom Plenum angenommen

zu II)
Herr Wiesenthal weist daraufhin, dass die Liste der möglichen Testfälle im Hinterkopf behalten werden sollte. Die Untersuchungsfälle, die in den folgenden Sitzungen thematisch vorgestellt werden, folgen der Logik unserer ersten spontanen Präferenzen und sind deshalb nicht gleichermaßen die „besten“ Testfälle i.S. von die zur Analyse geeignetsten Testfälle.

zu III)

1. Mali:
Mathias referierte im wesentlichen den Aufsatz von  Sophia Moestrup (s. Literaturliste).
Mali bietet sich demzufolge als ein möglicher Testfall an, da die Demokratisierungsschübe in den ´90er Jahren (erfolgreich) vorangetrieben wurden, trotz defizitärer ökonomischer Ressourcenausstattung des Landes und der Bevölkerung. Damit kann Mali als ein Beispiel diskutiert werden, das nicht den demokratietheoretischen Annahmen entspricht, nämlich Demokratie setze ein bestimmtes Pro-Kopf-Einkommen in der Bevölkerung voraus.
In der weiterführenden Seminardiskussion wurden im wesentlichen folgende Fragen erörtert:
a) Was hat sich in Mali verändert?, b) Welche Bereiche eignen sich zur Analyse?, c) Ist Mali für unsere Zwecke ein gutes Beispiel?

zu a) Transformation des staatlichen Herrschaftsanspruch aus der Diktatur zur Demokratie (durch einen Verantwortlichen innerhalb des Militärs! Amadu Tumani?), Umbau der wirtschaftlichen, politischen und administrativen Bereiche des Landes, wachsende Heterogenität, relativ hohe Frauenbeteiligung bis in hohe Ämter hinein, unabhängige Medien, zivilgesellschaftliche Orientierung

zu b) Es gilt zu hinterfragen, warum gerade Mali dazu fähig war, eine stabile Demokratie aufzubauen. Nachbarländer, in denen die Verhältnisse im Vergleich zu Mali sehr ähnlich waren bspw. Niger, haben diesen Transformationsprozess nicht entwickeln können.
weitere, daraus resultierende Aspekte:
-     Rolle des Präsidenten: bleibt die „Collective-Action“ Problematik ausgespart?
- week institutions – strong leadership (skillful leadership)?
- Rolle des Militärs?
- Handlungsdruck von Außen?
- Deutung des Prozesses durch Eliten – Kooperation zwischen konkurrierenden Eliten?

zu c) Im Seminar entwickelten sich Unstimmigkeiten bzgl. der Frage, inwieweit Mali denn nun wirklich das Kriterium „demokratische Basis“ als Grundvoraussetzung zur Analyse erfüllt. Daraufhin einigte man sich auf folgenden Kompromiss:
Es geht nur bedingt  um die Erklärung des Wandels vom diktatorischen zum demokratischen System. Interessant ist die Frage, wie konnte der demokratische Kurs beibehalten werden.

2. Euro:
Thomas konzentrierte sich zunächst einmal darauf, die historische Einbettung der Idee einer europäischen Währungsunion nachzuzeichnen.
Drei-Stufen-Modell:
1. Einigung der europäischen Staaten auf den Zusammenschluss der europäischen Zahlungsunion /EZU (1950)
2. Einigung auf ein europäisches Währungssystem (1979)
3. Umstellung auf europ. Einheitswährung (1999-2002)
Was macht die europäische Währungsunion für uns interessant? Welche Fragen ergeben sich für unseren Kontext?
- Zunächst einmal die Idee der Einigung auf ein festgelegtes Stabilitätskriterium mit Kurs auf eine europäische Wirtschaftsunion und eine gemeinsame Währung
- Herr Wiesenthal äußerte die Vermutung, dass es für solch eine Reform, innerhalb derer sich autonome Staaten entgegen erheblicher Skepsis und Widerstände zusammenschließen, keinerlei historisches Vorbild gäbe.
- durch die Einigung auf eine gemeinsame Währungspolitik verabschieden sich die unterschiedlichen   autonomen Staaten von der Möglichkeit, durch strategische nationale Währungspolitik Einfluss auf die   nationale wirtschaftliche Lage auszuüben.
- „environment“: Übereinstimmung der Rationalitäten der Herrschenden auch entgegen der nationalen Rationalitäten
- inwiefern lässt sich die Toleranz bzgl. der hohen Transformationskosten erklären
- wie kommen die Akteure zusammen?
- welche Rolle spielen interne Faktoren (bspw. das Vertrauen in demokr. Bedingungsfaktoren)
- „external shock“/ „win of opportunity“: europäische Länder nutzen die Gunst der Stunde: Deutschland soll eingebettet werden und dadurch Autonomie opfern?
- Reform hinterfragen als starkes Novum  - es wurde weiter an ihr festgehalten, obwohl viel Skepsis bestand (rationale Gründe, Nachteile für viele Beteiligte, unsichere Ziele, Irreversibilität, Unwahrscheinlichkeit)
- Politische Einbettung der Währungsreform in weitere Reformen?
- Bedeutung nationalkultureller und politökonomischer Implikationen?
 

ergänzendes Tafelbild von Herrn Wiesenthal zur Erklärung typischer Einflussfaktoren:
(die exakte Graphik mit tollen Pfeil-Beziehungen kann als Word-Datei betrachtet werden)

   kollektive Akteure individ. Akteure

Struktur. Beding.              agency (prudent choices)

         case    environment
 

3. Ökologisierung:
Sebastian skizzierte eine chronologische Darstellung des Themas Ökologie/Umwelt innerhalb der Geschichte der BRD.
Dabei betonte er wichtige Eckdaten:
1970: Gründung des ersten Ministeriums für Umwelt in Bayern
1971: erstes Umweltprogramm, Grundprinzip: Vorsorge, Verursacher, Kooperationsprinzip
1986: Abteilung „U“ im Bundesinnenministerium (als Reaktion auf Tschernobyl)
1994: Artikel 20A Umweltschutz als definiertes Staatsziel im Bund

vor ´86: gesellschaftliche Debatte ist geprägt durch ´62: „Der stumme Flüchtling“, ´66: „Raumschiff Erde“, ´72: „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome), ´72: Umweltkonferenz Stockholm, ´71: Benzinbleigesetz, ´72: Abfallgesetz,
´74: Bundesemissionengesetz, ´76: Atom-/Wasserabgabegesetz, ´77: Einführung des „Blauen Engels“, ´83: Reaktionen auf Waldsterben/ Einführung von Filtertechniken zur Reduzierung der CO2 Emissionen/ Treibhausgaseffekt, ´86: Richtlinien der EG zur Meeresverschmutzung
1986: Tschernobyl: Handlungsdruck: 6.6.86: BM für Umwelt, Gesundheit und Verkehr
 nach ´86: Umwelt und Ökologie werden zum festen Themenbestandteil der Bundespolitik: ´88: Festlegung der Abgasnormen, ´91: Verpackungsordnung, ´94: Einführung des Dualen Systems, ´95: „Öko Audit“ innerhalb der EU, ´97: Nachhaltigkeitsprinzip, ´99: Ökoreform, ´00: Biomassenverordnung
Das Nachhaltigkeitsprinzip (Vorbereitung, Entscheidungsfindung, Umsetzung/ Monitoring) wird zum Maßstab der Umweltpolitik.

Ergänzungen durch Herrn Wiesenthal:
- Umweltschutz ist ein interessantes Themenfeld, da hier die Genese eines neuen Politikfeldes sowohl auf nationaler und internationaler als auch auf globaler Ebene beobachtet werden kann. Politikfelder als emergentes Resultat
- Alternative Ursachen für Umweltpolitik: 1. probleminduziert, 2. Bewegungsinitiative,                  3. bürokratisch-politische Eigendynamik
- Hinweis: Hier liesse sich ein Beitrag zu „positiven Kapitalismustheorien“ leisten:
1. Veranschaulichung, wie Probleme entdeckt werden und auf diese reagiert wird à Leistungsfähigkeit kapitalistischer Gesellschaften
2. Veranschaulichung, wo Grenzen und Hindernisse liegen à die Leistungsgrenzen demokratisch kapitalistischer Gesellschaften (z.B. Problematik unterschiedlicher Zeithorizonte, Investitions- vs. Legislaturperioden)
[Literaturhinweis: Kitschelt, Herbert, 1985: Materiale Politisierung der Produktion. Gesellschaftliche Herausforderung und institutionelle Innovationen in fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien. Zeitschrift für Soziologie, 14 (3), 188-208]

Einwand von Thomas: Inwiefern entspricht die Genese eines Politikfeldes unserer Definition von intentionaler Reform? Kann das Thema für unser Vorhaben Relevanz beanspruchen, wenn man berücksichtigt, dass Umweltschutzpolitik einer endogenen Rationalität folgt und kein Ergebnis intentionaler Reformpolitik darstellt? Diesem Testfall fehle der holistische Charakterzug.

Dieser Einwand wird als starkes Argument im Plenum angenommen und anschließend wird weiterhin die Frage diskutiert, inwiefern man den Testfall Ökologisierung als Kontrastfall mit in den Kreis der Analysethemen aufnehmen sollte.
 

Was macht diesen Fall für uns interessant:
- Mikrointentionalität und Mesoinstitutionalität als Verursacher eines Bruchs mit der bekannten Logik.
- Ein Projekt der eher machtarmen Akteure, Politik reagiert darauf nach eigener Logik
- Hartnäckigkeit der Institutionen an Reformvorschlägen / Untersuchung der Möglichkeiten sozialer Bewegungen?
- gezielte Entdeckung von Mechanismen, die durch internationale Expertenmeinungen die politische Konkurrenz ausschließen/ überrollen (Bsp.: FCKW und epistemic communities)
- Frage nach der Rolle des Wertewandels und der Rolle der Wirtschaft als Gegenspieler
- Akteurfelderweiterung (Stichwort: Freizeitpolitiker)
- Wir könnten Belege finden, die zeigen, dass Intentionalität vorhanden war, die entsprechenden Akteure aber nicht machtvoll genug waren – eine inkrementalistische Politik sich dieser Intentionalität aber nicht entziehen konnte.
 

Tabelle der relevanten Kriterien, die unsere Testfälle erfüllen sollten:

Bewertungen in der Reihenfolge:   Mali   Euro   Öko

Regeländerung/                           ++   ++  +
Institutionenwandel                                    /inkrementalistisch

Praktikabilität/
Datenlage                                   ++   ++   ++

Outcome Bewertung                   +     +      ++
                                                          /“Institutionenstabilität“

Relevanz des Testfalls                 ++   ++   - ?

Matrix anwendbar?                     +   +   +

demokratische                            +    +    ++
Bedingungen                               /ab 1991
 
 

zu IV)
wird vertagt

zu V)
Themenverteilung und –vorstellung und Aufgabenverteilung siehe Arbeitsplan

Das Plenum einigte sich erstaunlich schnell und einstimmig darauf, im Anschluss an die letzte offizielle Arbeitseinheit dieses Semesters, zwecks (feucht) fröhlichen Ausklangs zusammen eine angemessene Lokalität anzupeilen! Also merken: am 15.07. gegen 19:30 Uhr wird’s ernst!
 


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rev. 30.04.2002
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